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Perleberg Der Krieg war gerade zehn Jahre vorbei,
langsam ging es den Menschen wieder besser und in Perleberg begannen die
Menschen, sich wieder verstärkt der Musik zuzuwenden. Hatte es nicht
vor der Nazizeit in Perleberg den Arbeitersportverein "Alte Eiche"
gegeben?
Allerdings war der verboten worden, und die Instrumente waren nie gefunden
worden. Das sollten sie auch nicht, denn auf dem Dachboden des Schneidermeisters
Helmut Nohr in der Perleberger Lindenstraße lagen die Trommeln derart
auseinander gebaut, dass SA oder Gestapo schon genau hätten wissen
müssen, wonach sie suchen. So aber überstanden sie den Krieg und
sollten den Grundstock für die Instrumentierung eines neuen Spielmannszuges
bilden.
Gemeinsam mit Günter Kürsten, Alfred Schmielau und Fritz Neumann,
kam bei Hans-Anton Nohrs Vater dann "durch ein Biertischgespräch
die Idee auf, wieder einen Spielmannszug zu gründen", wie sich
der heute 58-jährige Sohn des Gründers erinnert. Von jenem denkwürdigen
Abend im Jahr 1953 an sollten noch zwei Jahre vergehen, ehe am 20. September
1955 der erste Auftritt des damals 18 Mitglieder starken Spielmannszuges
beim damaligen VEAB (Volkseigener Erfassungs- und Aufkaufbetrieb) anstand.
"In der ersten Zeit kannten wir keine Noten, sondern haben nur nach
Gehör oder nach Grifftabellen gespielt", erinnert sich Hans-Anton
Nohr. Das neue Ensemble gehörte zwar damals schon zur Betriebssportgemeinschaft
"Empor", übte aber noch weitgehend privat: Die Trommler trafen
sich einmal in der Woche in Nohrs Werkstatt in der Lindenstraße, die
Flötisten übten in der Senffabrik von Günter Kürsten.
"Manchmal ging es auch nach Neue Mühle oder hinter die alte Flussbadeanstalt",
erzählt Hans-Anton Nohr.
Obwohl sie sich als Teil des Konsum fühlen konnten, gab es für
die Spielleute weder zusätzliche Lebensmittelmarken noch bekamen sie
andere Vergünstigungen, wie der damals sechsjährige Perleberger
noch weiß. Nach und nach kamen alle Nohr-Kinder zum Spielmannszug.
Seine Schwester Karin stellte mit Edeltraud Gottwald sogar die ersten Mädchen,
die beim Trommeln und Pfeifen mitmachten. Oft genug gingen die betagten
Trommeln kaputt, mussten ständig gestrichen und gepflegt werden. Die
Trommelstöcke hingegen waren meist nicht mehr zu retten. So erbarmte
sich Tischlermeister Schabrod und stellte den aufstrebenden Spielleuten
neue Trommelstöcke zur Verfügung. Eine richtige Uniform gab es
in der ersten Zeit noch nicht, dafür marschierten die Perleberger in
schwarzer Hose und weißem Hemd. Gab es keine Versuche, ein so schneidiges
Ensemble politisch auftreten zu lassen? "Naja, bei den Maifeiern und
am 7. Oktober waren wir schon dabei", erklärt Hans-Anton Nohr.
"Aber dadurch, dass die FDJ einen eigenen Fanfarenzug gegründet
hatte und wir ja zur Betriebssportgruppe gehörten, ließ man uns
in Ruhe."
Dennoch tritt auch ein Betriebsspielmannszug mit Marschmusik an und auf.
Das mochte so mancher angesichts der leidvollen Erfahrungen aus dem Krieg
nicht mehr hören. Dass Nazimärsche tabu waren, verstand sich von
selbst, aber auch der Marsch "Alte Kameraden" kam auf die Liste
der nicht spielbaren Titel. Geübt wurde in dieser Zeit einmal zwei
Stunden pro Woche. Manchmal nur Standspiel, manchmal nur Marsch.
Einmal im Monat ging es an den Wochenenden auf die Dörfer, wo die Bauern
einen ausgaben, wenn sie zufrieden waren. Große Auftritte waren in
den ersten Jahren eher selten. Und doch gibt es Parallelen, denn zu den
Musiktagen mit Bootskorso in Havelberg fuhr der Perleberger Spielmannszug
damals wie auch später in den neunziger Jahren einige Male wieder zum
Blasmusikfest.
Als die 50er Jahre zu Ende gingen, wurde die materielle Ausstattung langsam
besser. Es gab die ersten Notenhefte vom DTSB, ein Spieler kam mit Notenkenntnissen
vom Lehrgang zurück, die mühsam erstellten Grifftabellen mussten
zurück in Noten übertragen werden. Langsam verjüngte sich
das Ensemble, doch einen Kinderspielmannszug gab es noch nicht. Weil aber
alles seine Ordnung haben musste, wurden nach Nohrs Erinnerung die Kinder
kurzerhand der Sektion Schwimmen zugeordnet. Ganz falsch war das nicht,
denn nicht nur Hans-Anton Nohr erwarb in dieser Zeit tatsächlich das
Schwimmabzeichen. Der Trommel ist Hans-Anton Nohr nie untreu geworden. "Flötenspiel,
das war nichts für mich", bekennt er. Inzwischen hat er völlig
mit dem Spielen aufgehört. Nur wenn der Enkel kommt und einige Kniffe
sehen will, holt "Opa Anton" sein Instrument hervor. Doch bleibt
er dem Perleberger Spielmannszug erhalten - als passives Mitglied. Sein
Sohn, kurzzeitig auch seine Tochter und der Enkel sind - wie könnte
es anders sein - auch im Perleberger Spielmannszug. Und alle spielen Trommel.
Andreas König |
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Der Arbeitersportverein "Alte Eiche" kann nicht direkt als Vorläufer, wohl aber als Urahne des Perleberger Spielmannszuges gelten. |
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Die große Trommel wurde mit diesem Wappen gefunden zu DDR-Zeiten war es übermalt. |
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Mit solchen Grifftabellen, hier von Gerhard Dröge, übten die Flötisten ihre Stücke ein. |
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