HomePressearchiv Zur Geschichte..."Alte Eiche" war Wurzel des Spielmannszugs  
   
   
  "Alte Eiche" war Wurzel des Spielmannszugs
  MAZ blickt zurück in die 50-jährige Geschichte der Perleberger Spielleute / Heute: die 50er Jahre
   
  Märkische Allgemeine vom 6. August 2005
   
 
Perleberg • Der Krieg war gerade zehn Jahre vorbei, langsam ging es den Menschen wieder besser und in Perleberg begannen die Menschen, sich wieder verstärkt der Musik zuzuwenden. Hatte es nicht vor der Nazizeit in Perleberg den Arbeitersportverein "Alte Eiche" gegeben?

Allerdings war der verboten worden, und die Instrumente waren nie gefunden worden. Das sollten sie auch nicht, denn auf dem Dachboden des Schneidermeisters Helmut Nohr in der Perleberger Lindenstraße lagen die Trommeln derart auseinander gebaut, dass SA oder Gestapo schon genau hätten wissen müssen, wonach sie suchen. So aber überstanden sie den Krieg und sollten den Grundstock für die Instrumentierung eines neuen Spielmannszuges bilden.

Gemeinsam mit Günter Kürsten, Alfred Schmielau und Fritz Neumann, kam bei Hans-Anton Nohrs Vater dann "durch ein Biertischgespräch die Idee auf, wieder einen Spielmannszug zu gründen", wie sich der heute 58-jährige Sohn des Gründers erinnert. Von jenem denkwürdigen Abend im Jahr 1953 an sollten noch zwei Jahre vergehen, ehe am 20. September 1955 der erste Auftritt des damals 18 Mitglieder starken Spielmannszuges beim damaligen VEAB (Volkseigener Erfassungs- und Aufkaufbetrieb) anstand. "In der ersten Zeit kannten wir keine Noten, sondern haben nur nach Gehör oder nach Grifftabellen gespielt", erinnert sich Hans-Anton Nohr. Das neue Ensemble gehörte zwar damals schon zur Betriebssportgemeinschaft "Empor", übte aber noch weitgehend privat: Die Trommler trafen sich einmal in der Woche in Nohrs Werkstatt in der Lindenstraße, die Flötisten übten in der Senffabrik von Günter Kürsten. "Manchmal ging es auch nach Neue Mühle oder hinter die alte Flussbadeanstalt", erzählt Hans-Anton Nohr.

Obwohl sie sich als Teil des Konsum fühlen konnten, gab es für die Spielleute weder zusätzliche Lebensmittelmarken noch bekamen sie andere Vergünstigungen, wie der damals sechsjährige Perleberger noch weiß. Nach und nach kamen alle Nohr-Kinder zum Spielmannszug. Seine Schwester Karin stellte mit Edeltraud Gottwald sogar die ersten Mädchen, die beim Trommeln und Pfeifen mitmachten. Oft genug gingen die betagten Trommeln kaputt, mussten ständig gestrichen und gepflegt werden. Die Trommelstöcke hingegen waren meist nicht mehr zu retten. So erbarmte sich Tischlermeister Schabrod und stellte den aufstrebenden Spielleuten neue Trommelstöcke zur Verfügung. Eine richtige Uniform gab es in der ersten Zeit noch nicht, dafür marschierten die Perleberger in schwarzer Hose und weißem Hemd. Gab es keine Versuche, ein so schneidiges Ensemble politisch auftreten zu lassen? "Naja, bei den Maifeiern und am 7. Oktober waren wir schon dabei", erklärt Hans-Anton Nohr. "Aber dadurch, dass die FDJ einen eigenen Fanfarenzug gegründet hatte und wir ja zur Betriebssportgruppe gehörten, ließ man uns in Ruhe."

Dennoch tritt auch ein Betriebsspielmannszug mit Marschmusik an und auf. Das mochte so mancher angesichts der leidvollen Erfahrungen aus dem Krieg nicht mehr hören. Dass Nazimärsche tabu waren, verstand sich von selbst, aber auch der Marsch "Alte Kameraden" kam auf die Liste der nicht spielbaren Titel. Geübt wurde in dieser Zeit einmal zwei Stunden pro Woche. Manchmal nur Standspiel, manchmal nur Marsch.

Einmal im Monat ging es an den Wochenenden auf die Dörfer, wo die Bauern einen ausgaben, wenn sie zufrieden waren. Große Auftritte waren in den ersten Jahren eher selten. Und doch gibt es Parallelen, denn zu den Musiktagen mit Bootskorso in Havelberg fuhr der Perleberger Spielmannszug damals wie auch später in den neunziger Jahren einige Male wieder zum Blasmusikfest.

Als die 50er Jahre zu Ende gingen, wurde die materielle Ausstattung langsam besser. Es gab die ersten Notenhefte vom DTSB, ein Spieler kam mit Notenkenntnissen vom Lehrgang zurück, die mühsam erstellten Grifftabellen mussten zurück in Noten übertragen werden. Langsam verjüngte sich das Ensemble, doch einen Kinderspielmannszug gab es noch nicht. Weil aber alles seine Ordnung haben musste, wurden nach Nohrs Erinnerung die Kinder kurzerhand der Sektion Schwimmen zugeordnet. Ganz falsch war das nicht, denn nicht nur Hans-Anton Nohr erwarb in dieser Zeit tatsächlich das Schwimmabzeichen. Der Trommel ist Hans-Anton Nohr nie untreu geworden. "Flötenspiel, das war nichts für mich", bekennt er. Inzwischen hat er völlig mit dem Spielen aufgehört. Nur wenn der Enkel kommt und einige Kniffe sehen will, holt "Opa Anton" sein Instrument hervor. Doch bleibt er dem Perleberger Spielmannszug erhalten - als passives Mitglied. Sein Sohn, kurzzeitig auch seine Tochter und der Enkel sind - wie könnte es anders sein - auch im Perleberger Spielmannszug. Und alle spielen Trommel.

Andreas König
Foto: Arbeitersportverein "Alte Eiche"
Der Arbeitersportverein "Alte Eiche" kann nicht direkt als Vorläufer, wohl aber als Urahne des Perleberger Spielmannszuges gelten.
 
 
Foto: Die große Trommel wurde mit diesem Wappen gefunden... Foto: Mit solchen Grifftabellen...
Die große Trommel wurde mit diesem Wappen gefunden – zu DDR-Zeiten war es übermalt.   Mit solchen Grifftabellen, hier von Gerhard Dröge, übten die Flötisten ihre Stücke ein.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
   
   
   
 
zurück nach oben